Notizen eines Amoklaufs

Claudia 02Der gestrige Abend war der Schlimmste, den München seit dem Tag des Oktoberfestattentats erleben musste.

Anfänglich schien es, als hätten drei mutmaßliche Täter einen möglichen Terroranschlag verübt. Fieberhaft wurde nach ihnen gefahndet. Die Bevölkerung half vor Ort und in den Sozialnetzen mit, diese ausfindig zu machen.

Sehr schnell wurde ein Video veröffentlicht, das einen jungen Mann vor einer McDonalds Filiale zeigte, der auf junge fliehende Leute schoss.

Später ein weiteres über einen jungen Mann auf dem Parkdeck des Einkaufzentrums, in dem der Attentäter mehrere Menschen tötete. Er wurde von einem offensichtlich älteren Mann beschimpft und wirkte sehr verunsichert und in die Enge gedrängt. Verfiel daraufhin in ein Rechtfertigungsverhaltensmuster, aus dem hervorging, dass er Deutscher und in einem Hartz-4 Gebiet geboren sei. Auch sagte er aus, dass er stationär behandelt worden war, also offensichtlich psychische Probleme aufwies.

Ali S., so stellte sich später heraus, ein Deutsch – Iraner mit zwei Staatsangehörigkeiten, war ein 18 – jähriger Schüler. Er soll an Depressionen gelitten haben. Die Polizei stellte bei der Durchsuchung der elterlichen Wohnung fest, in der er mit einem Bruder lebte, dass er sich mit Amokthemen intensiv beschäftigt hatte. Insbesondere mit den Amokläufen von Winneden und dem Breivikattentat von Norwegen, das sich gestern jährte. Er soll offen seine Bewunderung für diese Taten geäußert haben.

Mehrere Indizien weisen daraufhin, dass er schulische Probleme hatte. Er soll durch das Fachabitur gefallen sein. Laut eines Nachbarn ein Außenseiter, ruhig und unauffällig, von seinen türkischen und arabischen Mitschülern gemobbt.

Das Video zeigt eine gebrochene, in die Enge getriebene Persönlichkeit, keinen entschlossenen Islamisten. Er hatte sich nicht radikalisiert, war ein Schiite.

Dies ist die zweite Tat nach Augsburg innerhalb kurzer Zeit, als ein mutmaßlicher Pashtune als Reaktion auf den Tod eines Freundes in Afghanistan mit einem Messer Amok lief.

Was läuft schief in unserer Gesellschaft, die Migrantenkinder so isoliert und unentdeckt und ungehindert ihre Taten planen und durchführen lässt? Ist es Gleichgültigkeit, Überforderung von Eltern und Lehrern? Findet keine wirksame Sozialkontrolle statt?

In unserer Leistungsgesellschaft spielen die sozialen Beziehungen eine untergeordnete Rolle. Kinder aus Migrantenfamilien erfahren entweder nur Aufmerksamkeit in ihren Familien oder gar nicht. Die Eltern von Ali S. waren beide berufstätig, gehörten zur Unterschicht einer bürgerlichen Umgebung der Maxvorstadt. Ali S. muss sehr allein gewesen sein.

Migrantenkinder fühlen sich oftmals abgehängt und ausgegrenzt. Lehrer an öffentlichen Schulen von ihren Leitern im Stich gelassen. Der öffentliche Sparzwang verschlimmert das Problem noch.

Wir brauchen mehr Hinwendung zu Schülern durch Vertrauenslehrer. Solche, die sich in der Mentalität der Migrantenkinder auskennen und Hilfestellung bei Problemen leisten können. Wir brauchen ebenfalls mehr Umsetzung erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse, die die Universitäten zur Verfügung stellen. Und professionelle Beratung durch muslimische Lehrer, wie man den Kindern Hilfestellung leisten kann.

Der Anstieg von Amokläufen ist ein Indiz, dass in unserer Gesellschaft etwas gravierend schief läuft.

Aber auch Psychiater und die Pharmaindustrie müssen sich unangenehme Fragen stellen lassen. Weisen doch Tabletten zur Behandlung psychischer Erkrankungen neben anderen Nebenwirkungen insbesondere Suizidneigung auf. Man spart auch dort an Forschungen, die Nebenwirkungen aufzulösen.

Die Reaktion auf München kann nur sein, mehr Schwerpunkte auf eine menschliche Zuwendung neben der schulischen zu legen. Auch bei deutschen Kindern. Öffentliche Schulen sollten hinter den Angeboten privater nicht länger zurückstehen. Ein reiches Land wie Deutschland sollte mehr in die Vorsorge investieren. Menschliches Lernen, menschliche Lehrkonzepte müssen in den Vordergrund gerückt werden, damit jugendliche Seelen nicht kaputtgemacht, sondern gestärkt werden, um sich auf die Leistungsgesellschaft vorzubereiten.

Damit uns unsere Leistungsgesellschaft nicht noch mehr zu ungewollten Opfern werden lässt.

Claudia Wädlich

Die Autorin des Beitrags ist Schriftstellerin und spezialisierte Kriminologin.

Ihre Emailadresse: claudia.waedlich@gmail.com

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